Prof. Dr. Anne-Kathrin Lindau, Jolina Ulbricht (MLU Halle-Wittenberg)
Verankerung von Nachhaltigkeitswerten - Slot 1 | 07.10.2024, 15.00 Uhr
Forschungsfragen:
1) Wie trägt die Rekonstruktion von außereuropäischen Nachhaltigkeitsvisionen am Beispiel Ecuadors zur Professionalisierung von angehenden Lehrkräften bei?
2) Inwiefern verändert sich die Perspektive auf Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext geographischer Bildung?
Inhalt des Beitrags:
Der im Kompetenzmodell GreenComp formulierte Kompetenzbereich „Verankerung von Nachhaltigkeitswerten“ adressiert insbesondere die Wertschätzung von Nachhaltigkeit und die Weltsichten auf Nachhaltigkeit, die durch die Reflexion über Werte und Perspektiven in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen gefördert werden sollen (Bianchi, 2022). Der Nachhaltigkeitsdiskurs ist im deutschsprachigen und europäischen Kontext häufig von anthropozentrischen Nachhaltigkeitskonzepten im Sinne von Mensch-Umwelt-Beziehungen und technologischen Lösungen für nicht-nachhaltiges Handeln im Raum geprägt (Dusseldorp, 2017). Der Nachhaltigkeitsdiskurs in Ecuador orientiert sich hingegen an holistischen Nachhaltigkeitsvisionen, welche einerseits mit dem in der Verfassung Ecuadors verankerten Konzept des Buen Viviers als politische Rahmung verankert wurde sowie um eine Debatte zu den Rechten der Natur angereichert wird (Rieckmann, 2017; Knauß, 2020). Andererseits wird von den Indigenen der Ansatz Pachamama (Mutter Erde) und Sumak Kawsay (Gutes Leben) als bedeutsam für das Leben gesehen (Altmann, 2027; Recknagel, 2019).
Die Professionalisierung von Lehrkräften zielt insbesondere in der universitären Phase auf ein umfassendes kritisches Verständnis von Nachhaltigkeit und werte-diskursorientierter Reflexion von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ab. Das eigene Nachhaltigkeits- und BNE-Verständnis zu hinterfragen, indem außereuropäische Nachhaltigkeitskonzepte in Theorie und Praxis thematisiert werden, war das Ziel einer Exkursion mit Geographie-Lehramtsstudierenden nach Ecuador. Durch die Erkundung verschiedener Regionen Ecuadors, die durch sehr unterschiedliche Klima- und Vegetationszonen sowie eine jeweilige angepasste anthropogene Nutzung geprägt sind, wurde es möglich, außereuropäische Perspektiven auf Nachhaltigkeit in einem holistischen Verständnis zu beobachten, zu erleben, zu analysieren und zu reflektieren.
Die vorliegende Studie nimmt die oben genannten Forschungsfragen in den Blick und rekonstruiert unter Verwendung eines qualitativen Prä-Post-Follow-up-Designs den Beitrag der kritischen Auseinandersetzung mit außereuropäischen Nachhaltigkeitsvisionen am Beispiel Ecuadors zur Professionalisierung von angehenden Lehrkräften. Zur Datenauswertung wurden Fokusgruppeninterviews und Mental Maps zu vier Zeitpunkten, Forschungsberichte sowie schriftliche Reflexionen von sechs Lehramtsstudierenden genutzt.
Die Ergebnisse zeigen individuelle Entwicklungsverläufe der Teilnehmenden hinsichtlich eines Nachhaltigkeits- und BNE-Verständnisses sowie einer werteorientierten Reflexion. Die Argumentationslinien basierten auf individuellen Beobachtungen im Raum sowie auf unterschiedlichen Nachhaltigkeitskonzepten im Sinne der Multiperspektivität.
Die Rolle von außereuropäischen Nachhaltigkeitsvisionen am Beispiel von Ecuador wird im Kontext der Geographielehrkräftebildung und des Schulfaches Geographie bezüglich ihres Bildungswertes abschließend diskutiert.
Literatur:
Altmann, P. (2017). Sumak Kawsay as an Element of Local Decolonization in Ecuador. Latin American Research Review 52(5), pp. 749–759. DOI: doi.org/10.25222/larr.242
Knauß, S. (2020). Pachamama als Ökosystemintegrität – Die Rechte der Natur in der Verfassung von Ecuador und ihre umweltethische Rechtfertigung. Zeitschrift für Praktische Philosophie, 7(2), 221–244. doi.org/10.22613/zfpp/7.2.9
Recknagel, L. (2019). Buen Vivir als Konzept einer Bildung für nachhaltige Entwicklung?: eine nachhaltigkeitsorientierte Diskursanalyse. dx.doi.org/10.25673/13911