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Komplexe Systeme verstehen und kritisches Denken lernen auf geographischen Exkursionen in Kenia

Jonas Wagener (Universität Passau)

Exkursionen sind seit jeher obligatorischer Bestandteil geographischer Studiengänge. Während es im klassischen Exkursionsverständnis primär um das „Sehen lernen“ der Studierenden, also gewissermaßen um das Einüben des „geographischen Blickes“ ging (vgl. Michel 2014), steht heute indes das Infragestellen und Aufbrechen eingeübter Sichtweisen und deren Dekonstruktion im Mittelpunkt. Entsprechend liegt der Fokus im fachdidaktischen Diskurs vor allem auf dem Subjekt und seinen individuellen Raumwahrnehmungen sowie auf reflexiven Auseinandersetzungen mit diesen (Segbers 2018: 7). Aktuelle Befunde aus der exkursionsdidaktischen Forschung haben bereits das Potenzial dieses Lernformats aufgezeigt (u.a. Segbers 2018; Eberth 2024). Der Vortrag diskutiert anhand einer untersuchten geographischen Exkursion nach Kenia, inwiefern im Rahmen von Exkursionen kritisches und systemisches Denken gefördert werden kann.

Sowohl Geographieunterricht als auch Lehr-Lernprozesse der BNE müssen, wenn sie dazu beitragen wollen, komplexe erdräumliche Sachverhalte und Probleme in der heutigen vernetzten Welt anzugehen, diese systemisch betrachten (Hoffmann 2024: 36). Die Systemkompetenz wird als Schlüsselkompetenz für nachhaltige Entwicklung benannt (UNESCO 2017: 10). Über das Denken in komplexen Systemen hinaus geht beim Kritischen Denken um das Erkennen der eigenen Positionalität und Eingebundenheit in Strukturen und Denkmuster. Kritisches Denken „meint ein sorgfältiges und zielgerichtetes Überlegen [oder] reflektiertes, rationales oder aufgeklärtes Denken“ (Pfister 2020: 7). Es ermöglicht Lernenden, eine selbstständige und selbstbestimmte Persönlichkeit zu entwickeln. Dabei sollte es ein Ziel sein, „das Individuum immer wieder zur Überschreitung seiner räumlichen und zeitlichen Fixierung, seiner bisherigen Gewissheiten in der Einfädelung zum Inhalt, zum Gegenstand […] zu ermutigen“ (Dickel 2011: 20). Um dieses Denken zu lernen, stellen geographische Exkursionen im Rahmen der Hochschuldidaktik ein zentrales Lernformat dar, um bisherige Perspektiven aufzubrechen und vorher Selbstverständliches zu dekonstruieren (u.a. Segbers & Eberth, 2017).

Grundlage dieses Vortrags ist eine eigene empirische Studie, im Rahmen derer eine Exkursion nach Kenia untersucht wurde. Das Erkenntnisinteresse liegt dabei auf der Frage, inwiefern es seitens der Teilnehmenden während des „Unterwegseins“ tatsächlich zu reflexiven Auseinandersetzungen mit eigenen Vorstellungen kommt und welche Denkprozesse angestoßen werden. Im Vortrag werden Lerngelegenheiten auf der Exkursion einerseits entlang des kritischen und systemischen Denkens charakterisiert und, darauf aufbauend, im Diskurs um eine Bildung für nachhaltige Entwicklung und transformatives Lernen verortet.

Literatur:

Dickel, Mirka (2011): Geographieunterricht unter dem Diktat der Standardisierung. Kritik der Bildungsreform aus hermeneutisch-phänomenologischer Sicht. In: GW-Unterricht, 123. S. 3-23.

Eberth, Andreas (2024): Geographische Exkursionen nach Kenia: Förderung postkolonialer Perspektiven oder Reproduktion von Ungleichheit? In: Badig, Cornelia; Panenka, Petra (Hrsg.): Universität – Macht – Wissen: Postkoloniale, feministische und partizipative Perspektiven im Kontext akademischer Lehre. Berlin. [im Erscheinen].

Hoffmann, Thomas (2024): Zehn Stufen zum systemischen Denken im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Ein interkulturell einsetzbarer unterrichtspraktischer Lehr-/Lerngang. In: Rempfler, Armin & Grob, Regula, Blaser, Marianne, Landtwing, Schönauer, Ute (Hrsg.): Komplexität und Systemisches Denken im Geographieunterricht. Tagungsband zum HGD-Symposium 2022 in Luzern. Norderstedt. S. 36-47.

Michel, Boris (2014): Sehen wie ein Geograph. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Blick darauf, wie Geographen zu Zeiten des Landschaftsparadigmas das Sehen lernten und wie dies beitrug das geographische Selbst zu konstituieren. In: Berichte. Geographie und Landeskunde, 88. S. 21-38.

Segbers, Teresa & Eberth, Andreas (2017): Von der Irritation zur Reflexivität – Zum Potenzial fachdidaktischer Exkursionen für die Professionalisierung angehender Geographielehrkräfte. In: GW-Unterricht, 145. S. 5-17.

Segbers, Teresa (2018): Abenteuer Reise. Erfahrungen bilden auf Exkursionen. Praxis Neue Kulturgeographie, 13. Münster: LIT.

UNESCO (2017): Education for Sustainable Development. Learning Objectives. Paris.

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